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"Wir machen die Musik neu"

Frank Wunsch im Interview über Lee Konitz

Seit mehr als zwanzig Jahren feiern Menschen auf dem ganzen Globus im April den Jazz Appreciation Month. Im Museum of American History enstand 2001 ein Gedenkmonat, der Musikfans aller Altersgruppen dazu anregen sollte, sich mit Jazz zu beschäftigen, Konzerte zu besuchen oder Bücher über Jazz zu lesen. Im letzten Jahr gab unser Top Autor Tim Richards wertvolle Tipps, wie man Improvisation erlernen kann. In diesem Jahr erinnert sich Schott Autor Frank Wunsch an die Zusammenarbeit mit dem legendären Saxofonisten Lee Konitz. Schott Music Lektorin Julia Baldauf-Stenzinger sprach mit ihm über ihr Kennenlernen, Inspirationen sowie Herausforderungen bei gemeinsamen Konzerten.

 

Über Frank Wunsch

Frank Wunsch wurde im August 1945 in Bochum geboren. In Dortmund studierte er Musik mit den Schwerpunkten Klavier und Komposition, in seinem Hauptfach Klavier absolvierte er dann auch seine künstlerische Reifeprüfung.
Zu seinen Lehrern gehörten Günther Faber, Prof. Alfons Kontarsky, Prof. Rudolf Petzold und Prof. Joachim Blume.
Seit 1980 unterrichtet er als Lehrbeauftragter an der Musikhochschule in Köln. Zu seinen Werken gehört u.a. „Blues for Two“, ein Heft mit leichten vierhändigen Klavierstücken, das 2008 bei Schott Music erschienen ist.

 

Das Kennenlernen von Lee Konitz

 

Schott Music: Wie kam es zu dem Wunsch, mit Lee Konitz zu arbeiten?

Frank Wunsch: Er war mir mit 17 Jahren bereits durch die Platte Birth Of The Cool von Miles Davis bekannt. Ich hatte mit 15 Jahren angefangen, mich für Jazz zu interessieren, bald danach hatte ich Konitz schon wahrgenommen.

Ungefähr 1984/5 hörte ich dann in einer Jazzkneipe in Dortmund, dem „Jatz“, eine Platte. Es stellte sich heraus, dass dies Lee Konitz im Duo mit Michel Petrucciani war. Das Stück hieß I Hear A Rhapsody. Ich war sogleich fasziniert von Lees Ton, der sich im Vergleich zu früher stark verändert hatte.

Danach habe ich alles von ihm gekauft, was mir in die Hände fiel. Ich arbeitete damals als Klavierlehrer an der Dortmunder Musikschule. Eines Tages dann kam Glen Buschmann, der Leiter der Schule und selbst Jazzmusiker, in mein Zimmer und sagte, es gebe ein Festival in Dortmund, die „Amerikanische Woche“. Ich solle mit einem amerikanischen Musiker meiner Wahl spielen. Ich musste nicht lange überlegen und schlug Konitz vor. Glen Buschmann war einverstanden.

Ich sprach damals nicht besonders gut Englisch, aber mit der Hilfe einer Freundin konnte ich mit Lee Konitz in Kontakt treten. Und so kam es zu unserem ersten gemeinsamen Auftritt beim Festival im Juni 1986 in Dortmund. Wir spielten im Quartett mit Gunnar Plümer und Christoph Haberer. Wir waren für einen Tag Probezeit gebucht, auf den am nächsten Tag gleich das Konzert folgte. Das wurde vom Dortmunder Studio des WDR mitgeschnitten. Es waren sehr gute Arbeitsbedingungen damals.

Etwa ein Jahr danach besuchte ich Lee zusammen mit dem Journalisten Hanns Petrik in New York. Hanns wollte eine Biografie über Bill Evans schreiben und interviewte zu diesem Zweck viele noch lebende Weggefährten von Evans, zum Beispiel Eddie Gomez, Evans’ Managerin Helen Keane, und dann auch Lee.

Wir trafen uns also dort und fassten dann den Plan, eine einwöchige Deutschland-Tournee zu unternehmen. Daran schlossen sich dann viele weitere Tourneen an und wir waren bis 2007 jedes Jahr in Deutschland und auch Europa auf Tour, seit etwa 1993 meist in Duobesetzung. Etliche Konzerte wurden vom Radio oder Fernsehen mitgeschnitten. Im Laufe der Jahre entstanden 7 CDs mit Lee, davon auch zwei unter Mitwirkung des Trompeters Kenny Wheeler.

 

Lee Konitz gilt als Künstler des sogenannten Cool Jazz, der Elemente aus dem Impressionismus aufgreift. In Ihren Bluesstücken für Klavier (erhältlich bei Schott Music) gibt es einen Blues pour Erik Satie. Auf Ihrem Album Insight mit Lee Konitz gibt es wiederum mit „Echos d’Erik Satie“ Referenzen an diesen großen Impressionisten. Inwiefern beziehen oder bezogen Sie sich auf Satie in Ihrem – auch gemeinsamen – Schaffen?

Nun, Satie beeindruckt nicht gerade durch eine Vielzahl von Tönen, sondern durch seine originellen, manchmal auch etwas absonderlichen Einfälle. Bei Lee ist es ähnlich. Er kann gewiss so schnell spielen wie Gerd Dudek oder Michael Brecker, macht das aber nur, wenn der Ausdruck oder die Situation dies erfordert. Lee war immer für Klassik empfänglich. Wenn ich solches Material mitbrachte, und das waren zum Beispiel Stücke von Schubert, Ravel, Berg oder Webern, war er immer aufgeschlossen. Mit Satie hatte Lee gewissermaßen die Sparsamkeit gemeinsam. Er musste nicht viele Töne machen. Übrigens heißt auch meine neue Solo-Platte Ein Spaziergang mit Erik Satie! (Lacht) Die ist Anfang Februar erschienen.

Saties Harmonik fanden wir ansprechend, sie hat bereits eine gewisse Nähe zum Jazz, und man kann sie leicht mit Jazzelementen verbinden. Die unmöglichsten Akkordfolgen erscheinen bei Satie natürlich und schlüssig!

 

Als Pianistinnen und Pianisten sind wir oft in der Rolle Begleiters. Konitz arbeitete viele Jahre mit dem Pianisten Lennie Tristano, zu dessen Markenzeichen Akzentverschiebungen und unerwartete rhythmische wie harmonische Wendungen zählten. Als Jazzpianist, wie war es für Sie, Lee zu begleiten?

Das war gar nicht besonders einfach! Mein erstes Duo-Konzert mit Lee fand in Göttingen statt, wir hatten bis dato noch nie im Duo gespielt. In der ersten Hälfte war es denn auch nicht einfach seinen Linien zu folgen, und schließlich begann ich in der linken Hand einen Walking Bass zu spielen [klassische Begleittechnik, abgeleitet vom Jazz-Kontrabass, Anm. d. Red.]. Da guckte Lee schon fragend. Er wollte das nicht, fühlte sich davon eingeengt. In der zweiten Konzerthälfte habe ich das entsprechend zurückgenommen. In diesem Sinne war keine herkömmliche Begleitung möglich, wenn man mit Lee spielte.

Er wollte, dass wir interessante eigene Ideen spielten. Vor dem Konzert haben wir oft ein paar Minuten lang meditiert. Er sagte „Streiche alles aus dem Gehirn – wir machen die Musik heute neu!“ Das war sein Anspruch.

Wir spielten häufig Standards. Er hat nicht angesagt, welches Stück er spielen würde, er improvisierte einfach drauf los. Man musste als Mitspieler herausfinden, was das für ein Stück überhaupt war.

 

Frank Wunsch im Duo mit Lee Konitz

 

Das ist ziemlich schwierig!

Ja, stimmt, aber das war so seine Art. Allerdings hatte auch Lee manchmal Schwierigkeiten, das Stück herauszufinden, wenn ich etwa einmal eine Improvisation begonnen und nicht die Melodie des Stückes zitiert habe. Ein Standard sollte sich jedes Mal anders anhören. In den Proben, die er im Übrigen nur selten machte, spielten wir vielleicht fünf Standards, und transponierten sie chromatisch aufwärts. Ich kann mich erinnern, dass wir tatsächlich einmal Cherokee in einem Konzert in zwölf Tonarten gespielt haben. Das hat fast zwanzig Minuten gedauert! Wenn man Floskeln spielte, sagte er: „You try to swing!“ Er wollte alles immer ganz frisch.

 

Haben Sie eine Lieblingsplatte von oder mit Lee Konitz?

Strings for Holiday. Lee spielt auf dieser CD Stücke aus dem Repertoire von Billie Holiday, begleitet von sechs Streichern, Bass und Schlagzeug, wunderbar arrangiert von Daniel Schnyder. Ich könnte aber noch 10 weitere nennen, z.B. die Aufnahmen mit Martial Solal. Solal und Konitz gemeinsam habe ich bei ihrem letzten Konzert in Paris gehört.

 

Vielen Dank für dieses Interview!

 

 

Mehr über Lee Konitz und Frank Wunsch

Cover Lee Konitz Solo Transcriptions

Lee Konitz Solo Transcriptions

Lee Konitz

Mit den Solo Transcriptions for Alto Saxophone liegen erstmals offizielle Transkriptionen des Saxophonisten Lee Konitz vor. Die Auswahl umfasst eine große Zeitspanne seines Wirkens, ausgehend von Improvisationen im Kontext der Arbeit mit Lennie Tristano über das Album Motion bis hin zu Aufnahmen mit Charlie Haden und Brad Mehldau. Hervorragendes Studienmaterial für fortgeschrittene Saxophonist:innen und Interessierte. Lee Konitz gilt als Vertreter des Cool Jazz. Sein Spiel war und ist Inspiration für Musiker:innen in aller Welt.

 

20 Bluesstücke Frank Wunsch

20 Bluesstücke

Frank Wunsch

Die leichten bis mittelschweren, stimmungsvollen Stücke sind gospelartig oder swingend angelegt oder mit klassischen Anklängen versehen, einige sind bekannten Jazzgrößen zugeeignet. Eine gelungene Sammlung für den Unterricht und das Konzert.

 

 

 

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