Die Klangwelten der Multi-Perkussionistin Leonie Klein
- By Charlotte Schmitt
- 22.05.2023
Leonie Klein ist als Schlagzeugerin sowohl solistisch als auch im Ensemble tätig und hat sich der Neuen Musik verschrieben. Mit ihren Interpretationen erschafft sie völlig neue Klangwelten. Wir haben mit Leonie Klein über ihre musikalische Welt gesprochen.
Leonie Klein wurde 1993 in Wittlich geboren. Sie war Jungstudentin an der Hochschule für Musik Karlsruhe und schloss dort den Masterstudiengang Schlagzeug bei Isao Nakamura sowie den Masterstudiengang Musikjournalismus ab. Zudem absolvierte sie den Begleitstudiengang Angewandte Kulturwissenschaft am Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft (ZAK) Karlsruhe. Aktuell promoviert sie im Bereich Neue Musik für Schlagzeug solo. Ihre musikalische Entwicklung wurde maßgeblich durch die Zusammenarbeit mit Helmut Lachenmann, Vinko Globokar, Nicolaus A. Huber, Dieter Schnebel und Peter Eötvös geprägt. 2018 ist ihre Debüt-CD „Gathering Thunders“ erschienen. Leonie Klein war Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und wurde 2020 mit dem Mamlok-Preis für Interpret:innen zeitgenössischer Musik ausgezeichnet. 2022 wurde sie als Stipendiatin in die Kunststiftung Baden-Württemberg aufgenommen. Leonie Klein ist Yamaha Artist. Neben ihrer Konzerttätigkeit ist sie als Musikjournalistin u. a. für SWR2 und Deutschlandfunk Kultur tätig.
Das Interview mit Leonie Klein
Schon mit sechs Jahren erhielten Sie Ihren ersten Schlagzeugunterricht. Was gefällt Ihnen am Schlagzeug besonders?
Als ich mit sechs Jahren anfing Schlagzeug zu spielen, war das keine bewusste Entscheidung für das Schlagzeug, sondern eher Zufall. Ein anderes Instrument zu spielen ist mir als Kind nie in den Sinn gekommen und so ist es beim Schlagzeug geblieben. Heute weiß ich, dass es ein großer Glücksfall war, denn welches Instrument hat schon eine solch unglaubliche Vielfalt an Klängen und Geräuschen zu bieten. Wenn ich mit einem Transporter voller Instrumente zum Konzert fahre und nach stundenlangem Aufbau die bis dahin leere Bühne voller Instrumente steht, denen es ungewöhnliche Klänge zu entlocken gilt, dann ist das ein tolles Gefühl.
Wer hat Sie in Ihrer musikalischen Entwicklung inspiriert?
An erster Stelle wären da meine beiden Schlagzeuglehrer zu nennen, die mich sehr geprägt haben: Dietmar Heidweiler, mein erster Schlagzeuglehrer an der Musikschule, und Isao Nakamura, bei dem ich studiert habe und der heute mein Duopartner im ISANIE Percussion Duo ist. Und dann hatte ich immer wieder das Glück, mit Komponisten wie Peter Eötvös, Helmut Lachenmann, Vinko Globokar, Nicolaus A. Huber oder Dieter Schnebel arbeiten zu können, deren akribische Probenarbeit mich als Musikerin sehr inspiriert hat.
Generell habe ich immer schon Musiker bewundert, die auf eine Bühne gehen und „einfach Musik machen“. Bei denen immer eine Leichtigkeit zu spüren ist, auch wenn die Stücke noch so schwer zu spielen sind. Während meines Studiums hatte ich die Möglichkeit mit Helmut Lachenmann an seinem Schlagzeugsolo „Intérieur I“ zu arbeiten. Er sagte mir: „Weißt du, man kann das Stück buchstabieren oder man kann es musizieren, und das ist der Unterschied.“ Nachdem wir einen Nachmittag lang sehr akribisch an dem Stück gearbeitet hatten, sagte er dann: „Vergiss alles wieder, sonst wirst du verrückt, du musst das einfach spielen.“ Und so arbeite ich bis heute: Im Proberaum übe ich jeden einzelnen Klang, jede einzelne Bewegung bis ins letzte Detail, da überlasse ich nichts dem Zufall. Oft arbeite ich monatelang an einem Stück, bevor ich damit auf die Bühne gehe. In dieser Zeit lebe ich mit diesem Stück. Das geht so lange, bis ich das Gefühl habe, jeden einzelnen Klang so verinnerlicht zu haben, dass es nicht mehr nur die Noten auf dem Papier sind, die ich da spiele, sondern dass daraus Musik wird.
Haben Sie als professionelle Perkussionistin innerhalb Ihres Instrumentariums ein Lieblingsinstrument?
Ich freue mich immer sehr, wenn Metallinstrumente zum Einsatz kommen, die einen interessanten Nachklang haben. Das können zum Beispiel Tamtams oder diverse Becken sein. Der Klang wird oft nur durch einen einzigen Schlag hervorgebracht und dann gilt es wahrzunehmen, wie sich der Nachklang des jeweiligen Instruments verändert, ohne dass ich als Interpretin aktiv Einfluss darauf nehme. Bei Werken für Setup, in denen lang ausklingende Metallinstrumente mit diversen anderen Schlaginstrumenten kombiniert werden, kommt es oft vor, dass ich den Zeitpunkt des Weiterspielens an dem Nachklang eines Metallinstruments ausmache und dabei meine Klangvorstellungen für den neuen Klang aus der Wahrnehmung des verklingenden Metallklangs hervorgeht.
Zum Instrumentenkauf gehen Sie am liebsten in den Baumarkt. Können Sie das erklären?
Eine Besonderheit beim Schlagzeug ist, dass nicht nur konventionelle Instrumente zum Einsatz kommen, die von Instrumentenbauern in perfektionierter Art und Weise hergestellt werden, sondern es werden auch Gegenstände vom Schrottplatz oder eben aus dem Baumarkt zu Instrumenten umfunktioniert. Das können Rohre, Bleche, Gießkannen oder auch Blecheimer sein – also kurz gesagt: alles, was einen interessanten Klang von sich gibt.
Leonie Klein und Isao Nakamura (Foto: Andreas Orban)
Bei WERGO ist gerade Ihre zweite CD mit Solos und Duos erschienen. Können Sie ein wenig darüber erzählen?
Eine Woche lang war ich im SWR Studio Kaiserslautern und habe dort meine zweite CD eingespielt. Auf der CD sind neben Werken für Schlagzeug solo auch Werke für Schlagzeug-Duo zu hören, die ich zusammen mit Isao Nakamura, meinem ehemaligen Professor an der Karlsruher Musikhochschule, eingespielt habe.
Die meisten Werke auf der CD sind Auftragskompositionen für mich und das ISANIE Percussion Duo. Die Stücke sind im Fall von „Latitudes #2“ von Sara Glojnarić für Drumset und Tape, der Soloversion von Peter Eötvös' Schlagzeugkonzert „Speaking Drums“ und „Chattering Birds“ von Dai Fujikura in enger Zusammenarbeit mit den Komponist:innen entstanden. Eine Solofassung von dem ursprünglich für Schlagzeug-Quartett komponierten Stück „Variations and Interludes“ von Ursula Mamlok habe ich selbst arrangiert. Dann gibt es noch „Dialog über Erde“ von Vinko Globokar. Ein Stück aus den 90ern, das ich zusammen mit dem Komponisten erarbeitet habe. Und nicht zu vergessen sind die zwei Duostücke „Windscapes“ von Toshio Hosokawa und „Ritem kože – The Rhythm of Skin“ von Uroš Rojko. Das Notenmaterial dieser beiden Stücke haben uns die Komponisten mit der Bitte um Aufführung zukommen gelassen und letzteres ist wie auch „Chattering Birds“ von Dai Fujikura dem ISANIE Percussion Duo gewidmet.
Die Werke auf der CD haben alle ein ganz individuelles klangliches und kompositorisches Profil und in ihrer Kombination spiegeln sich viele unterschiedliche Facetten von Neuer Musik für Schlagzeug wider. Das macht eine Studioproduktion mit diesem Programm interessant, gleichzeitig aber auch herausfordernd: von perkussiven Klängen in Kombination mit gesprochener Sprache über den typischen Sound eines Drumsets bis hin zu Unterwasserklängen eines mit 80 Litern Wasser befüllten Aquariums ist alles dabei. Da wurde selbst der Hausmeister des SWR neugierig, der während der Umbaupausen zwischen den verschiedenen Sets gerne mal im Studio vorbeigeschaut hat.
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Chattering BirdsISANIE Percussion Duo (Leonie Klein | Isao Nakamura)In Jazz und Rock jederzeit unumstritten fulminant erweist sich das Schlagzeug in seiner ganzen Vielfalt mehr und mehr als für die Neue Musik prädestiniert. Leonie Klein, eine mitreißende Künstlerin auf diesem Feld, bietet hier, teils im Duo mit Isao Nakamura, eine kompakte, sorgfältig zusammengestellte Auswahl heutiger Musik für Percussion-Instrumente. Von Peter Eötvös‘ Schlagzeugkonzert „Speaking Drums“ erklingt in guter Virtuosenmanier eine Solofassung der Interpretin, in der zum Sprechen der Trommeln die Stimme der Schlagzeugerin tritt. Vinko Globokars „Dialog über Erde“ setzt Instrumente experimentell dem Wasser aus, sogar in einem kleinen Aquarium – ein feinsinnig elementares Ereignis. Auf dem Drumset tritt die Solistin in Sara Glojnarićs „Latitudes #2“ dann in einen atemberaubend virtuosen Zweikampf mit künstlichen Rhythmus-Impulsen vom Tonband an. Das Duo führt in Dai Fujikuras „Chattering Birds“ staunenswert vor, wieviel Musik radikal reduziert auf Fingerzimbeln möglich ist. In den wieder von Leonie Klein für Solo bearbeiteten „Variations and Interludes“ von Ursula Mamlok entsteht die Form zwischen den Instrumentengruppen, und in Hosokawas „Windscapes“ wird der Kontrast zwischen vertikalen Akzentschlägen und horizontalen Streich- und Reibeklängen erforscht. Uroš Rojkos „Ritem kože“ schließlich bildet nach vielen Perspektivwechseln den ästhetisch homogenen virtuosen Abschluss.
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Was hat ein mit Wasser befülltes Aquarium mit Percussion zu tun?
In „Dialog über Erde“ von Vinko Globokar kommt ein mit 80 Litern Wasser befülltes Aquarium zum Einsatz, in das während des Stücks immer wieder kleine Instrumente spielend eingetaucht werden. Durch ein spezielles Unterwassermikrofon werden die Unterwasserklänge hörbar gemacht – Klänge, die wir normalerweise gar nicht hören können. Besonders faszinierend finde ich die Veränderung des Klangs, wenn ein Instrument zuerst in der Luft gespielt wird, dann nach und nach ins Wasser eingetaucht und schließlich ganz darin versenkt wird.
Wie kam es dazu, dass Sie nicht mehr „normales“ Schlagzeug spielen, sondern Klänge erfinden?
Eines meiner ersten Stücke, bei dem es darum ging, selbst Klänge zu erfinden, war „One4“ von John Cage. Bei diesem Stück ist das Instrumentarium nur ganz grob vorgegeben. Welche konkreten Instrumente der Interpret letztendlich auswählt und welche Klänge er darauf erzeugt, ist ihm überlassen. In „One4“ habe ich zum Beispiel kleine Spielzeugautos über das Fell einer Großen Trommel fahren gelassen, auf ein Bongofell geschrieben und Murmeln über ein Becken gerollt. Damals habe ich vor der ersten Aufführung wochenlang nach interessanten Klängen gesucht – und seitdem auch nicht mehr damit aufgehört.
Warum erweist sich das Schlagzeug gerade für die Neue Musik als prädestiniert?
Das Schlagzeug hat sich erst in den 50er Jahren als Soloinstrument durchgesetzt. Von daher sind die Möglichkeiten dieses Instruments und seiner klanglichen Vielfalt noch längst nicht ausgeschöpft und geben den Komponisten und Interpreten viel Spielraum, um damit umzugehen. Das Außergewöhnliche am Schlagzeug ist auch, dass, wenn sich ein Komponist dazu entschließt, ein Stück für Schlagzeug zu komponieren, im Vorfeld überhaupt nicht klar ist, welches Instrumentarium zum Einsatz kommen wird – das ist immer wieder eine Überraschung.
Schlaginstrumente fordern den Spieler mit seinem ganzen Körper, um möglichst vielfältige Klangnuancen zu erzeugen. Wie pflegen Sie dieses Körperbewusstsein?
Bei mir ist es so, dass ich immer eine Klangvorstellung im Kopf habe, die ich dann in eine Bewegung zur Klangerzeugung übertrage. Oft übe ich die Stücke ohne Instrumentarium, also quasi wie eine Choreografie, damit mein Körper die Bewegungen verinnerlicht. Letztendlich formt die Bewegung hin zum Instrument schon den eigentlichen Anschlag und damit den Klang.
Sie haben den renommierten Mamlok-Preis für Interpret:innen zeitgenössischer Musik bekommen. Was bedeutet der Preis für Sie als Schlagzeugerin?
Durch den Preis bin ich auf die Schlagzeugmusik von Ursula Mamlok aufmerksam geworden, die ich bis dahin noch nicht kannte. Als ich ihr Schlagzeug Quartett „Variations and Interludes“ das erste Mal gehört habe, wollte ich dieses Stück unbedingt aufführen. Dann habe ich mir die Partitur angeschaut und musste feststellen, dass die Aufführung der Originalfassung einen enormen logistischen Aufwand für eine verhältnismäßig kurze Spielzeit mit sich bringt. Schnell wurde mir klar, warum das Stück in keinem Konzertprogramm zu finden ist. Das wollte ich ändern und habe eine Solofassung von „Variations and Interludes“ arrangiert. Das Stück ist mittlerweile im Konzertsaal angekommen und auch auf meiner neuen CD zu hören.
Haben Sie schon Ideen für ein neues Projekt?
Zurzeit habe ich sehr viel Spaß daran, neue Konzertformate zu entwickeln. Beim Mozartfest in Würzburg werde ich in diesem Jahr ein interaktives Hörspiel-Konzert realisieren: „Das MozartExotikum“, eine Kombination von Hörspiel und Live-Konzert. Inhaltlich dreht sich alles um das Schlagzeug bei Mozart und in der Musik von heute. Ich könnte mir gut vorstellen, mich in Zukunft noch intensiver der Entwicklung von neuen Konzertformaten zu widmen.