Geschichte der Blockflöte
Die Flöte gehört zu den ältesten Musikinstrumenten überhaupt. Schon in prähistorischen Zeiten wurden Flöten gebaut, die aus hohlen Knochen bestanden und bereits mit Tonlöchern versehen waren. In der chinesischen Provinz Henan entdeckten Archäologen bei Ausgrabungen rund 9000 Jahre alte Knochenflöten. Im irischen Greystones stieß man 2004 auf einen sensationellen Fund, als man bei Bauarbeiten rund 4000 Jahre alte, 30 bis 50 Zentimeter lange Flöten aus Ebenholz auffand, aus denen sogar noch einige Töne hervorgebracht werden konnten.
Mittelalter: Dauergast im öffentlichen Leben
Als Hirteninstrument hielt die Flöte Eingang in die westliche Welt und verbreitete sich im frühen Mittelalter hauptsächlich im Kreise der singenden und spielenden Zünfte, zu denen u.a. Spielleute, Stadtpfeifer und Gaukler gehörten. Im Europa des frühen Mittelalters waren vor allem panflötenähnliche Instrumente verbreitet. Sie bestanden aus grifflochlosen Pfeifen, die der Länge nach gestaffelt waren und zusammengebunden wurden.
Renaissance: Das Instrument der Stunde
Die mit beiden Händen zu spielende, vertikal gehaltene Blockflöte mit Grifflöchern ist in Europa seit dem 11. Jahrhundert nachgewiesen. Bereits im 14. Jahrhundert gehörte die Blockflöte zu den bedeutendsten Holzblasinstrumenten. Während der Renaissancezeit vollzog sich im Bereich der Holzblasinstrumente eine rasante Entwicklung. Keine andere Instrumentengattung brachte eine vergleichbare Typenvielfalt hervor und entwickelte eine ähnliche Vielzahl an Größen vom Sopran bis zum Bass. In Deutschland war es speziell die Stadt Nürnberg, die u.a. zu einem bedeutenden Zentrum für die Produktion von Holzblasinstrumenten geriet.
Die Blockflöte wies hier noch eine zylindrische (d.h. gerade) Bohrung auf, verfügte über sieben vordere Grifflöcher und bestand lediglich aus einem Stück. Damit ging ein milder, obertonartiger Klang einher, der in hervorragender Weise zur Gesangsbegleitung geeignet war und wegen dieser spezifischen Klangcharakteristika zurecht die Bezeichnung „Flute douce“ bzw. „Flauto dolce“ trug. Als einzigem Blasinstrument in der Renaissance wurde der Blockflöte ein eigenes gedrucktes Lehrwerk gewidmet: die „Opera Intitulata Fontegara“ von Sylvestro Ganassi, die 1535 in Venedig erschien und das älteste umfassendste Schulwerk für Blockflöte darstellt.
Barock: Die goldenen Tage der Blockflöte
Während der Barockzeit (ca. 1600-1750) war die Blockflöte das Modeinstrument schlechthin und genoss an Königshöfen, in Fürstenschlössern und Bürgerhäusern höchstes Ansehen. Da für die Musik des Barock neben einer größeren Virtuosität nun auch ein anderes Klangspektrum gewünscht wurde, das sich deutlicher vom Klang der menschlichen Singstimme abheben sollte, veränderte man die Bauweise der Blockflöte: Ihr Korpus wurde nun aus drei einzelnen Teilen zusammengefügt, das Rohr umgekehrt konisch (d.h. unten enger als oben) gebohrt und die Grifflöcher enger aneinandergesetzt. Auch das Daumenloch war spätestens seit dem 16. Jahrhundert auf der Rückseite des Instruments zu finden. Nicht mehr zum Standard gehörte hingegen die doppelte Anlage des untersten Grifflochs auf der Vorderseite. Sie war hinfällig geworden, weil sich u.a. der untere Teil der Flöte nun bewegen und in eine für den Spieler angenehme Stellung drehen ließ. Insgesamt verfügte die Blockflöte nun über einen klareren und obertonreicheren Klang. Obgleich in der Barockzeit auch weiterhin andere Instrumente innerhalb der Blockflöten-Familie zum Einsatz kamen, trat doch die Alt-Blockflöte aufgrund ihrer besonderen Klangschönheit als Soloinstrument in den Vordergrund.
Viele namhafte Tondichter, darunter Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Jean-Baptiste Loeillet, Giuseppe Sammartini, Johann Mattheson und Georg Philipp Telemann, setzen die Blockflöte gezielt in ihren Kompositionen ein. Über 100 Jahre lang erfreute sie sich größter Beliebtheit. Eines der wichtigsten und umfassendsten Lehrwerke des 18. Jahrhunderts stammt von Jacques Hotteterre: Er brachte 1708 das Lehrbuch „Prinicipes de la Flûte traversière, de la flûte á bec et du Haut-bois“ heraus, das vor allem Aufschluss über die barocke Spielweise bezüglich Haltung, üblicher Griffe, Trillertechnik, Ornamentik und Artikulation gab.
Klassik & Romantik: Ein sinkender Stern
Im 18. Jahrhundert gewann jedoch nach und nach die klanglich kräftigere Querflöte die Oberhand, weil sie sich im erweiterten Instrumentarium des Orchesters und in den großen Konzertsälen einfach als durchsetzungsfähiger erwies. War bis ca. 1750 die Bezeichnung „Flöte“ eindeutig der Blockflöte vorbehalten gewesen, so kehrte sich dies um: Nun war – und ist übrigens bis zum heutigen Tage – mit der Angabe „Flöte“ die Querflöte gemeint. Soll die Blockflöte zum Einsatz kommen, wurde und wird dies seither gesondert verzeichnet.
20. Jahrhundert: Erweckung aus dem Dornröschenschlaf
Rund 150 Jahre lang fristete die Blockflöte anschließend ein Schattendasein und kam in erster Linie nur noch als Hausmusikinstrument in bürgerlichen Kreisen zum Einsatz – bis der französischstämmige und ab 1917 in England lebende Musiker und Instrumentenbauer Arnold Dolmetsch Anfang des 20. Jahrhunderts eine originale Bressan-Alt-Blockflöte aus dem 18. Jahrhundert erwarb. Er nahm sie um 1919 zum historischen Vorbild für seine ersten Blockflötenbauten und avancierte somit zu einem der wohl wichtigsten Pioniere der Blockflöten-Renaissance in England. Ihm sowie dem deutschen Instrumentenbauer Peter Harlan ist es zu verdanken, dass die Blockflöte in den Folgejahren langsam wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt wurde. Dabei legte man großen Wert auf ein möglichst originalgetreues Klangbild der Renaissance- und Barockmusik. Bedeutende moderne Komponisten wie z. B. Luciano Berio, Paul Hindemith, Benjamin Britten und Leonard Bernstein schufen in der Folge Werke für dieses Holzblasinstrument.
In den 1920er-Jahren setzte zugleich die Entwicklung der industriellen Massenproduktion von Blockflöten ein, angeführt zunächst durch die Firmen Moeck und Adler-Heinrich, denen im Laufe der Jahre weitere Werkstätten folgen sollten. Die damit einhergehende Herstellung kostengünstigerer Instrumente zum Beispiel aus Kunststoff war insofern vorteilhaft, als die Blockflöte zunehmend auch für pädagogische Zwecke entdeckt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte dann ein wahrer Blockflöten-Boom ein. Man benutzte das leicht zu transportierende und kostengünstige Instrument bevorzugt für Unterrichtszwecke, sei es innerhalb ganzer schulischer Klassenverbände oder auch in den aus dem Boden sprießenden kommunalen Musikschulen. Da das Spiel insbesondere der Sopran-Blockflöte bereits im Vorschulalter leicht erlernbar ist, weil es weder einer komplizierten Ansatz- noch einer virtuosen Grifftechnik bedarf, wurde und wird die Blockflöte häufig als Einstiegs- bzw. Früherziehungsinstrument eingesetzt. Dies hat dem Image der Blockflöte deutlich geschadet und warf ein allzu einseitiges, ja falsches Bild auf jenes traditionsreiche Holzblasinstrument, das – wenn ernsthaft und professionell gespielt – ein außerordentlich dynamisches und flexibles Instrument mit mannigfaltigen Ausdrucksmöglichkeiten ist.
Mit Hans-Martin Linde und Frans Brüggen haben zwei führende Musikerpersönlichkeiten entscheidend dazu beigetragen, dem schlechten Image der Blockflöte entgegenzuwirken: Beide gelangten seit den 60er-Jahren gleichermaßen als Solisten auf dem Konzertpodium wie auch als Schallplatteninterpreten zu Weltruhm und machten sich ebenfalls als Dirigenten und Lehrer einen Namen. Hans-Martin Linde hat u. a. zahlreiche Lehrwerke und Kompositionen für Blockflöte herausgebracht, darunter auch das „Handbuch des Blockflötenspiels“ (Schott, ED 8703).
Avantgarde: Wiederentdeckt und neu gespielt
Die musikalische Avantgarde ermöglichte der Blockflöte eine Erweiterung ihres traditionellen Ausdrucksbereichs, wobei sich die schlichte Bauweise dieses Instrumentes als geradezu ideal herausstellte. Denn bei den klappenlosen Instrumenten der Blockflöten-Familie sind Glissandi, Fingervibrato, Mehrklänge, Flageolettklänge (durch Unter- oder Überblasen) in einem Umfang von mehr als drei Oktaven problemlos umsetzbar. Zudem ermöglichen sog. „Piano-“ bzw. „Forte-Griffe“ neue dynamischen Abstufungen. In der Experimentellen Musik kommen zuweilen auch nur Teile der Blockflöte zum Einsatz, so z. B. lediglich das Kopfstück. Auch das Produzieren von Klopf- oder Zischgeräuschen oder das gleichzeitige Mitsingen findet als neues Gestaltungsmittel der Blockföte Verwendung.