Wie stelle ich den Chor richtig auf?
Wer kennt es nicht, das innerchorische Gerangel um die vermeintlich besten Plätze in der ersten Reihe oder neben der Busenfreundin – die beleidigten Blicke, wenn der Stammplatz, auf dem Mann bzw. Frau schon seit Jahren gesessen hat, auf einmal für ein anderes, womöglich neu hinzugekommenes Chormitglied geräumt werden muss? So manch einer deutet solche Maßnahmen als persönlichen Affront des Chorleiters gegen die eigene Person und ist sich nicht darüber im Klaren, wie wichtig eine genau austarierte Choraufstellung für einen homogenen Chorklang ist.
Die menschliche Stimme ist nicht grenzenlos mit anderen kombinierbar, zwei ähnlich timbrierte Stimmen nebeneinander können dem Chorklang ebenso schaden wie zwei übermotivierte „Schreihälse“ auf einem Fleck. Wichtig ist es für den Chorleiter herauszufinden, welche Stimmen sich gut mischen und welche nicht. Und selbstverständlich sollten unsichere Sänger bzw. solche, die schon mal eher Gefahr laufen, unterm Ton zu singen, neben intonations- und notentextsicheren Mitchoristen Platz finden. Neben dem geschickten Austarieren der Timbres und der Berücksichtigung der individuellen Fähigkeit eines jeden Choristen spielt auch der räumliche Abstand zwischen den einzelnen Sängern eine wichtige Rolle.
Die Kleinen in die erste Reihe …
Allzu große Geschlossenheit kann dann schädlich sein, wenn sich die schönsten Töne eines Soprans aus der zweiten Reihe im voluminösen Deckhaar der vor ihr stehenden hochgewachsenen Chorkollegin verfangen und damit für den Chorklang verloren sind. Deshalb – und natürlich auch aus Sichtgründen – ist zudem besonderes Augenmerk auf die Körpergröße zu richten, vor allem, wenn keine Podeste oder Stufen zur Verfügung stehen. Natürlich kommt es bei der Frage nach der Sitzordnung innerhalb der Stimmgruppen auf die Größe des Chors an. Je kleiner das Ensemble ist, desto sorgfältiger sollte man all diese Überlegungen in seine Aufstellungskonzeption mit einbeziehen.
Varianten der Stimmgruppenaufstellung
Neben der Platzierung der Sängerinnen und Sänger innerhalb der jeweiligen Stimmgruppen spielt auch die Anordnung der Stimmgruppen an sich eine wichtige Rolle und hat entscheidenden Einfluss auf die klangliche Balance. Neben der traditionellen vierstimmigen Aufstellung, wo der Tenor hinter dem Sopran und der Bass hinter dem Alt positioniert wird, damit die Stimmpaare, die einen ähnlichen Klang produzieren, gebündelt zusammensitzen, gibt es eine Vielfalt an weiteren Aufstellungsvarianten. Diese können z.B. der musikalisch-dramaturgischen Konzeption des jeweiligen Werks besonders Rechnung tragen oder bestimmte „Schwachpunkte“ des Chores – wie z.B. eine womöglich latente Unterbesetzung in den Männerstimmen oder eine etwaige mangelnde Balance zwischen den Mittelstimmen – berücksichtigen bzw. durch geschickte Positionierung ausgleichen.
Eine der sicherlich anspruchsvollsten Aufstellungen, die sich vor allem für die Darbietung von A-cappella-Chormusik hervorragend eignet, ist die Quartettaufstellung (SATBSATBSATB…). Ihr großer Vorteil und ihre besondere Herausforderung besteht – neben der Eigenverantwortlichkeit eines jeden einzelnen Sängers – darin, dass jeder Einzelne alle Stimmen, d.h. die gesamte Harmonik, gut durchhören kann. Dies ist für die Balance, die Homogenität und die Intonation sehr förderlich und sollte, wenn auch nicht unbedingt im Konzert, so aber in den Proben zwischendurch ruhig zur regelmäßigen Einrichtung werden.
Singen neben der besten Freundin
Erfahrungsgemäß lockert dies als Intermezzo nicht nur die Probenatmosphäre, weil sich jeder auch mal neben seinen „Lieblings(singe)nachbarn“ aus einer anderen Stimme stellen kann. – Es hat auch den günstigen Begleiteffekt, dass sich keiner mehr an den anderen aus seiner gleichen Stimmgruppe einfach nur „ranhängen“ kann, sondern dass die Sicherheit eines jeden gefragt ist und man auf diese Weise ganz schnell für sich selbst herausfindet, an welchen Stellen innerhalb des Notentextes es noch gewaltig „hapert“.
Wertvolle Tipps von Profis
Wie solche unterschiedlichen Aufstellungsmodelle im Einzelnen aussehen können, zeigt Simon Halsey eindrucksvoll im ausführlichen, mit „Der Werkzeugkasten – Probenpraktisches“ überschriebenen Kapitel seines Buchs „Vom Konzept zum Konzert“ u.a. anhand von Skizzen auf und berücksichtigt dabei z.B. Faktoren wie Chorstärke im Allgemeinen und zahlenmäßiges Verhältnis Frauen- und Männerstimmen im Besonderen, Stimmteilungen bzw. Doppelchörigkeit oder räumliche Gegebenheiten.
Auch Erik Sohn stellt in seinem Buch „A cappella coaching – Von der Probe bis zum Auftritt“ verschiedene Aufstellungen vor und legt detailliert dar, welche Übungsziele mit den jeweiligen Positionierungen verfolgt werden bzw. welche Aufstellungen sich (gleichermaßen) für Proben bzw. Auftritte eignen. Er bezieht sich dabei in erster Linie auf die Arbeit im Solistenensemble, bei dem andere Schwerpunkte der Präsentation gelegt werden und sich dadurch naturgemäß auch andere Positionsmöglichkeiten eröffnen.
Reiner Schuhenns Titel „Das alternative Chorleitungsbuch“ sammelt umfangreiche Informationen und Tipps zu randständigen Themen, die sowohl für Chorleiter und Dirigenten, als auch für SängerInnen wichtig sind. Hierzu gehören Hilfestellungen zu finanziellen und organisatorischen Themen und vieles mehr.