Kinderreime und Nonsensverse
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Description
In meinem Schaffen gibt es seit jeher auch den Hang zum Humoristischen, neben dem Todernsten. Das passt zu meinem Naturell: Mir ist beides gleich wichtig. Kinderreime und Nonsensverse vertont knappe Gedichte, vielleicht bis auf Karl Valentins Chinesisches Couplet oder die Marionettenballade von Erich Kästner. Bei Valentin denkt man schnell, es sei Nonsens. Aber im Grunde ist es Bayrisch und nicht Kauderwelsch. Jedenfalls möchte das Ohr allem eine Bedeutung beimessen. Die Gedichte enden alle böse, etwa die Marionettenballade. "Junger Mann, reich und schön, wollte die Welt besehen", so geht es los. Und es endet: "Nahm er sein Schießgewehr, junger Mann lebt nicht mehr."
Wir denken, heute mehr zu kommunizieren denn je, machen es aber nicht. Mein Stück K(l)eine Morgensternszene sind eigentlich Monologe für zwei Menschen, die kein Gegenüber mehr haben. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat das in seinem Werk Sphären beschrieben. Was und wer ist eigentlich der moderne Mensch, fragt Sloterdijk. Einer, der in einem Hochhaus mit einem Kopfhörer auf dem Kopf, sozusagen verschlossen, sitzt, aber die Illusion hat, mit der gesamten Welt zu kommunizieren. Dies ist, etwas vereinfacht, das zentrale Bild. Das Nicht-Kommunizieren-Können hat mich schon immer sehr interessiert. In den Gedichten für meine Kinderreime und Nonsensverse kommt das vielleicht etwas leichtfüßig daher, und deswegen kann es, wie so oft bei mir, leicht missverstanden werden. Ich meine es aber todernst.
Der Zyklus hat einzelne Lieder, die separat voneinander stehen. Es ist wichtig für die Form, dass es ein Wiegenlied gibt, von Clemens Brentano: die reinste, klarste, innigste, im besten Sinn volkstümlichste Dichtung. „Singet leise, leise, leise“: Mich erschüttert das. Es kommt zweimal vor, zunächst a cappella, dann instrumentiert. Wie jedes Schlaflied ist dieses Wiegenlied natürlich auch ein Todeslied. Dazu stelle ich die Celesta, weil sie einen Klang aus einer anderen Welt hat. Für mich sind Glockenspiele generell psychedelische, ganz persönliche Instrumente. Sie spielen hier eine zentrale Rolle. Wenn das Wiegenlied am Ende instrumentiert wiederkehrt, spielen alle mit einem sogenannten Hoteldämpfer: die größtmögliche Abdämpfung. Die Gesangsstimme wird umrankt. Damit könnte das Stück auch enden, aber attacca folgt Joachim Ringelnatz: "Drüben am Walde kängt ein Guruh, warte nur balde, kängurst auch du." Damit endet es, und da ist alles drin. Weil es so leichtfüßig daherkommt, kann es umso schlimmer hineinbrechen. Lacht man da? Warum nicht, aber: Das Lachen erstickt. Darum geht es mir.
- Jörg Widmann
Orchestral Cast
Contenu
I Die Liebe ist ein Autobus (Sprichwort)
II Der Briefmark (Joachim Ringelnatz)
III Wiegenlied I (Clemens Brentano)
IV. Das Fräulein stand am Meere (Heinrich Heine)
V. Der Frauen M. v. Sherstehts Grabschrift (Georg Rodolf Weckherlin)
VI Duo I
VII. Ene mene dubbbe dene (Abzählreim)
VIII Marionettenballade (Erich Kästner)
IX Duo II
X Reimzwang (Marcus H. Rosenmüller)
XI Chinesisches Couplet (Karl Valentin)
XII Die Grenzen der Aufklärung (Erich Kästner)
XIII Wiegenlied II (Clemens Brentano)
XIV Drüben am Walde (Joachim Ringelnatz)
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Konzerthaus
ensemble amarcord · Musikalische Leitung: Clemens Schuldt · Münchener Kammerorchester