Sweet Chicago Suite

Beim Hören der acht Tracks des neuen Albums The Sweet Chicago Suite von Ray Anderson's Pocket Brass Band fühlt man sich oftmals atemlos, dermaßen druckvoll präsentieren sich hier Ray Anderson, Lew Soloff, Matt Perrine und Bobby Previte. Bei all der dargebotenen Power vergisst man doch sehr schnell, dass es sich bei der Pocket Brass Band tatsächlich nur um ein Quartett handelt. Natürlich liegt ein Gutteil der musikalischen Wurzeln bei den Marching Bands aus New Orleans; diesem magischen Ort und seiner Musik fühlt sich Anderson spirituell verbunden. Doch man merkt schon am Albumtitel, dass es nicht um eine Hommage an The Big Easy geht, sondern um Rays Heimatstadt Chicago. Ray Anderson: „The Sweet Chicago Suite ist ein musikalisches Porträt des Chicagos der Sechziger Jahre genauso wie eine Betrachtung meines eigenen Erwachsenwerdens. Ich kam 1952 in Chicago auf die Welt und wuchs in der Hyde Park-Gemeinde auf, in der South Side Chicagos, da wo auch die Universät herrscht. Die Suite meditiert über all die starken Kräfte und Einflüsse, die mich bewegten und meine Erziehung prägten: meine Familie, die damalige Gegenkultur, omipräsenter Rassismus und die Bürgerrechtsbewegung, die Chicago Police, die Blackstone Rangers [eine Jugendgang, irgendwo zwischen Bürgerschutz und Mafia], Vietnam, High School, Mädels, und natürlich Musik.“ Die ersten sechs Tracks stammen von der Originalversion der Sweet Chicago Suite, das Anderson 2001 im Auftrag der Chamber Music America Organisation komponierte und aufführte. Das englische Wort „brass“ bedeutet ja im Deutschen nicht nur Blechbläser, sondern auch Kupfergeld. Insofern wäre die Pocket Brass Band eine Truppe, deren Taschengeld nur aus Kupfermünzen bestehen würde. Ein solches selbstironisches Wortspiel ist Ray Anderson ohne weiteres zuzutrauen. Schließlich präsentiert er seine Musik zu gerne mit einem Augenzwinkern – auch wenn er sich vehement gegen die Unterstellung auflehnt, er würde lustige Musik machen. Der Mann meint es ernst. Auf eine dermaßen lustvolle Art, dass sie sich unmittelbar auf den Hörer überträgt. Anfang der Siebziger verließ Anderson Chicago, wo er sein Musikstudium begonnen hatte, und ging zuerst an die Westküste, später nach New York. Als Teenager spielte er bereits mit Anthony Braxton, David Murray und seinem Studienkollegen George Lewis. Gleichzeitig saugte er die Sounds von James Brown, Sly And The Family Stone und Jimi Hendrix auf und schloss sich R&B und Funk Bands an. Als junger Twen war er Mitglied in den Formationen von Jimmy Guiffre und Barry Altschul. Danach gründete er die Slickaphonics. Seine Posaune ist aber auch auf Alben von Luther Allison, Bluesiana (mit Dr. John) oder gar Hall & Oates zu hören. Lew Soloff startete seine Karriere in der Urformation von Blood, Sweat and Tears und ist seitdem aus der Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Die Internet-Musik-Enzyklopädie „All Music Guide“ braucht ganze sieben Seiten, um seine Mitwirkungen bei Aufnahmen mit Paul Simon (Graceland), James Brown (Reality und Hell), Stanley Clarke (die ersten 3 Solo-Alben), Steely Dan (Gold) oder Miles Davis und Quincy Jones (Live At Montreux) komplett aufzulisten. Auch Bobby Previte bewegt sich ständig entlang der Schnittstelle zwischen Rock und Jazz und verdelte so bereits Aufnahmen von John Zorn, Charlie Hunter und Wayne Horvitz oder Tom Waits und Sonic Youth. Mat Perrine schließlich fällt es als "virtuoso sousaphone player" (Downbeat Magazine) naturgemäß schwer, beim Who Is Who seiner Kollegen mitzuhalten. Dennoch wurde der Meister seines Fachs schon zu Aufnahmen von Marianne Faithfull, Bruce Hornsby oder Harry Connick Jr. eingeladen. Aufgewachsen in Sacramento, CA, zog er 1992 konsequenterweise nach New Orleans und gilt dort, egal ob Rock, Funk, Hip Hop oder Jazz, seither als local hero.