Im Rahmen des Festival Présences wird am 16. Februar 2019 die
Babylon-Suite von Jörg Widmann im Grand Auditorium de Radio France in Paris aufgeführt. Das Orchestre National de France spielt unter der Leitung von Nicholas Collon. Die Aufführung wird begleitet von Videoinstallationen von Studierenden der École Estienne.
Die
Babylon-Suite ist an Widmanns Oper
Babylon angelehnt. Sie extrahiert die Essenz der monumentalen und groß besetzten Oper in ein etwa 30-minütiges Werk. Widmann verlegte dabei die Singstimmen nicht einfach in einzelne Instrumentalstimmen, vielmehr ging es ihm darum, den Stimmklang möglichst gut in die Orchestersprache einzupassen, selbst wenn dafür Veränderungen bis hin zur Neukomposition nötig waren. Die Suite ist von einem vielfältigen und großen Schlagwerkapparat geprägt und verbindet ganz verschiedene musikalische Elemente wie lyrische Melodien, majestätische Hymnen und volkstümliche Marschmusik.
Jörg Widmann – Babylon-Suite: Schwesterwerk der Oper
Die Oper
Babylon basiert auf einem Libretto des Kulturwissenschaftlers und Philosophen Peter Sloterdijk. Zusammen mit Widmanns Musik entsteht eine ganz eigene Interpretation des biblischen Mythos über die Stadt Babylon, die den Fokus nicht auf den Turmbau und die göttliche Strafe dafür legt. Stattdessen setzt sie sich mit dem Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in der Stadt und deren gesellschaftlicher Ordnung auseinander.
Protagonist der Oper ist Tammu, ein Jude im babylonischen Exil, der sich in der Fremde aber gut eingelebt hat. Er ist gefangen zwischen zwei unterschiedlichen Frauen: Die Seele, seine jüdische Gefährtin, liebt er wie eine Schwester, von der babylonischen Priesterin Inanna hingegen fühlt er sich sexuell angezogen. Als Tammu als Menschenopfer für die Götter hingerichtet wird, sind beide Frauen in ihrer Trauer verbunden. Inanna gelingt es jedoch, ihren Geliebten Tammu aus dem Totenreich zu retten und dadurch die Grundlage für eine neue gesellschaftliche Ordnung in Babylon zu legen. Denn die Rettung Tammus hat die Sinnlosigkeit von Menschenopfern aufgezeigt.
In den beiden Frauenfiguren spiegeln sich ihre verschiedenen Kulturen wider: die monotheistische und monogame Kultur der jüdischen Bevölkerung, die auch im Exil erhalten bleibt, und die multikulturelle babylonische Kultur, die vielen Göttern und der freien Liebe huldigt. Das zeigt sich besonders stark im fünften Bild, in der die jüdische Bevölkerung einen Klagepsalm anstimmt ("An den Wassern von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten."), während die Babylonier in einer ausgelassenen Zeremonie ihren Göttern huldigen. Widmann vertont diese Stelle als fulminante Steigerung, für die er einen 17-stimmigen Kontrapunkt verwendet und das Orchester in bis zu 70 Stimmen aufteilt.
„Meine Aufgabe als Komponist war es, die widerstreitenden Energien so drastisch wie möglich in ihrer Unterschiedlichkeit zu formulieren und trotzdem eine Möglichkeit zu finden, dass die Szenen ein Ganzes ergeben. Das Bauprinzip der Oper gleicht, beginnend mit einem riesigen Fundament und sich nach oben verjüngend, dem Babel-Turm.“
(Jörg Widmann)
Am 9. März 2019 kommt in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin eine neu überarbeitete Fassung der Oper zur Uraufführung. In der Inszenierung von Andreas Kriegenburg sind dort Mojca Erdmann als Die Seele, Susanne Elmark als Inanna und Charles Workman als Tammu zu sehen, es dirigiert Christopher Ward. Schon einige Tage vorher, am 25. und 26. Februar 2019, stimmt Generalmusikdirektor Daniel Barenboim das Berliner Publikum mit der
Babylon-Suite auf die neue Opernproduktion ein. Ob als Oper oder als Suite - der Babylon-Mythos ist in Widmanns Kompositionen lebendig und vermag es, uns zu einem anderen Blick auf unsere heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu verhelfen.
Foto: Bayerische Staatsoper München / Wilfried Hösl